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Engerling

20. April 2012, Museumskeller, Erfurt

Da hilft kein Jammern …

Unglaublich, in einer 35jährigen (!) Konzertbio habe ich es noch nicht geschafft, die Berliner Engerlinge ohne Mitch Ryder live zu sehen. Dass kennt man, Engerling als solide Unterstützung des Detroiter Nebelhorns, unspektakulär, zurückhaltend, das was eine Rampensau wie Levise braucht.

Eigenes, hörenswertes Material, gibt‘s ja zur Genüge. Mit der Hoffnung, dass die Ostalgietage endgültig und für immer vorüber sind, machen wir uns auf den Weg. Um Missverständnissen keinen Raum zu lassen: Die LP „Tagtraum“ war die treffende melancholische Zustandsbeschreibung der sich im Untergang befindenden Ostzone. Keine Band hat es zu dieser Zeit prosaischer auf den Punkt gebracht, „Keimzeit“ waren erst später dran. Eine Entwicklung der Texte in den Nachwendejahren ist unverkennbar. Und überhaupt – geniale Musiker sind die Engerlinge so wenig, wie sie eine Bluesband im klassischen Sinn sind. Das Wort ging über den Ton, die Suche nach der Aussage „zwischen den Zeilen“ war entscheidender. Die Fleischerhemdfraktion, deren Blickwinkel am Saum des Shellis endete, konnte mit dem musikalischen (und auch inhaltlichem) Richtungswechsel von der selbstbetitelten ersten LP „Engerling“ hin zu „Tagtraum“ nicht viel anfangen. Seinerzeit machte unter den Bluespuristen im Süden der „Nicht-Republik“ das Wort vom Kommerz die Runde. Dabei lieferten Bodag & Band nur die rhetorische Beschreibung einer Sinnsuche die im Nirgendwo endet - geschickt verwoben mit allerlei Anekdötchen um Texte und Band.

2012 stehen die alten Fans vor der Bühne, jene die nicht auf der Strecke blieben, und feiern inzwischen 37 Jahre Engerling. Das beeindruckt. Alle vier Musiker verstehen ihr Handwerk ohne zu überraschen, sind ja auch Profis. Auffallend gut ist Heiner Witte an den Gitarren, der sich aber konsequent in den Dienst der Band stellt und auf Mätzchen und Gefrickel verzichtet.

Ob es dramaturgisch sinnvoll ist mit gleich zwei Coverversionen zu eröffnen, Little Red Rooster und Albatros, kann so in Frage gestellt werden wie die mit 22:00 Uhr späte Anfangszeit. Beide Songs kennt man hinreichend, auch von Engerling, grundsolide Arbeit mit durchschnittlichem Gesang. Ein ganz Großer war er ja nie, stört nicht, Bodag lebt geradezu von der Empathie.

Ryder‘s „Ain‘t Nobody White…“ lässt erahnen, dass das auch Engerling-Revier ist. Wirklich gute Nummer, ohne das Original aus Detroit. Zwei meiner „All-Time-Engerling-Favoriten“, „Da hilft kein Jammern“ und „Der Zug und die weiße Ziege“ machen glücklich. Einziger Wermutstropfen: beide sehr stimmigen Aufnahmen werden von dem eher musikalisch schwachen quasi-Walzer „So oder So“ unnötig unterbrochen. „ She‘s A Rainbow“ war dann ganz o.k., das im Original schon schief gegangene Psychedelic-Experiment „2.000 Light Years From Home“ wird dann zum Tiefpunkt des ersten Sets. Immerhin Sie kriegen noch vor der Pause mit „Tagtraum“ und „Moll Gibt ‘Ne Party“ haarscharf die Kurve!

Damit ist unser Teil auch beendet, 00:02 fährt unser Zug, das ist schon etwas ärgerlich aber nicht zu ändern – „Da hilft kein Jammern“…aha,… Auf jeden Fall hat das Erlebte Lust auf mehr gemacht. Nächste Haltestelle, Schlachthof Eisenach, 27. Oktober 2012.

Setlist Teil 1:
Little Red Rooster (Willie Dixon)
Albatros (Fleetwood Mac)
Engerling‘s Blues
Ain‘t Nobody White Can Sing The Blues (Mitch Ryder)
Da Hilft Kein Jammern
• So Oder So
• Der Zug Und Die Weiße Ziege
• Häng Dich In Den Wind
She‘s A Rainbow (Jagger & Richards)
2.000 Light Years From Home (Jagger & Richards)
Tagtraum
• Moll Gibt ‘Ne Party
Pause und Abfahrt, leider …
Band:
Wolfram Bodag (p, keyp, harp, voc)
Heiner Witte (g, voc)
Manne Pokrandt (b, voc)
Hannes Schulz (dr)
Empfehlungen:
„Tagtraum“
„25 Jahre Engerling“

Es gibt einiges mehr, die „Tagtraum“ ist ein Stück aktiv erlebte Zeitgeschichte und unbedingt zu empfehlen.

Gunther Böhm