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John Hiatt

2. November 2010, Paradiso, Amsterdam

Double Trouble oder „Noch ein Liedchen“

Wie beginnt ein Amsterdamer Nachmittag vor einem John Hiatt Concert?
Mit einem Stop im gut sortierten, aber nicht unbedingt günstigen Plattenladen „Record Palace“, direkt gegenüber des Paradisos, der angesagtesten Live-Location in Coffee-Shop-City. Im Schaufenster hängt die Vinylausgabe des Mainstreammeisterwerkes „Bring The Family“ von John Hiatt mit einem mir bis dato unbekannten Cover. Kann das Zufall sein….? Wer sich die Mühe macht und im Record-Palace richtig stöbert kann trotz der Preise so manches Schnäppchen machen, so erwische ich die schon lange vergriffene LP-Ausgabe von Elliott Murphy´s „Milwaukee“, für schlappe 7 €uronen. Glück muss der Mensch haben, das war die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.

Im Kneipenviertel rund um den Leidseplein greifen wir ein Steak ab und zischen ein „paar“ Bier (Heineken mangels Alternativen) und freuen uns auf die Show des Rootsmagiers den wir diesen März schon in Texas sehen durften. Da John Hiatt nur jede Dekade in Deutschland aufkreuzt, nutzen wir auch den Amsterdamtermin. Neben dem Rolling-Stone-Weekender (das ist das „Fachmagazin“ mit Lady Gaga und Michael Ballack auf der Titelseite) gibt es nur zwei Deutschlandtermine: Köln & München.

Wir sind kurz vor 19:00 Uhr vorm Paradiso und reihen uns unter die gut 200 Wartenden ein. Ich bin mir sicher, dass der Laden ziemlich voll wird. Punkt 19:00 Uhr (sind wir in Deutschland?) werden die Türen geöffnet. Man glaubt es kaum – die Holländer haben eine Überraschung für uns parat: Unsere online gekauften (auf der „Heimseite“ des Paradiso) Eintrittskarten sind gar keine Eintrittskarten, die haben nur Gültigkeit, wenn man Clubmitglied ist. Also werden wir halt Mitglied für einen Monat, macht 3,50 €.

Was für eine Location! Eine umgebaute Kirche mit zwei Emporen und einer bis dahin noch nie erlebten Akustik und der optimalen PA. Drei mit Glasmalerei verzierte Fenster begrenzen den musikalischen Altarraum der jetzt zur Rock´n Roll Bühne mutiert ist. Das sitzplatzbedürftige Publikum stürmt die zwei Emporen, wir betreten die heilige Arena – den Innenraum. Mein Konzertsidekick Schulzie sucht sich einen der wenigen Ruheplätze, ich sortiere mich exakt in der Mitte des Saales ein, der noch nicht mal zu 1/5 gefüllt ist.

Als Anheizer tritt ein Songwriter aus Amsterdam (?) auf, der sich im musikalischen Dreieck zwischen Townes van Zandt, Steve Earle und Nick Drake einpendelt, eine Prise Vic Chessnut wird noch beigemischt fertig ist die optimale Songwritermugge. Mir gefällts, Klasse-Stimme, guter Storyteller und als Lokalpatriot hat er auch das anwesende Publikum auf seiner Seite. Nach 30 Minuten ist der Set vorbei, gerne hätte ich meine Musiksammlung erweitert, war leider nicht möglich, kein Merchstand. Schade!

Vor mir ist es zwischenzeitlich rappelvoll – ein Blick zurück bietet das gleiche Szenario, den notwendigen Toilettengang kann ich mir abschminken. Das Risiko im Niemandsland zu versinken, ist mir zu groß.

Nach ca. 20 Minuten Umbaupause geht’s dann endlich los! Perfectly Good Guitar, der Titelsong des gleichnamigen 93erAlbums ist der perfekte Opener. John Hiatt in dunklem Shirt und dunkler Jeans, schmaler Hut, ganz Troubador, ist sichtlich erfreut dass ihn die nahezu 2.000 anwesenden Jünger frenetisch empfangen. Die Band besteht wie in Texas aus Doug Lancio (g), Patrick O´Hearn (b) und Kenneth Blevins (dr). Er-Lebt hat John Hiatt wohl so ziemlich alles, gescheiterte Beziehungen die sich bis zum Selbstmord steigerten, Suff, eine auseinander brechende kleine Supergroup, Little Village, in der neben Hiatt, Ry Cooder, Nicke Lowe und Jim Keltner spielten und die stetige Rückkehr, ja Rückbesinnung auf „The Open Road“. Chartplatzierungen? Fehlanzeige! Die höchste je notierte Position erreichte das „Laid-Back-Gitarrenalbum“ „Perfectly Good Guitar“ auf 47. Wenn auch kommerziell wenig erfolgreich, musikalisch ist das höchste Güteklasse, uns erschließt sich nicht, was Tom Petty oder etwa Steve Earle so viel besser machen (sollen). Jeder der an diesem Abend gespielten Songs, ist ein tiefes Eintauchen in den Americana-Kosmos. Die Dramaturgie stimmt, auf das (g)riffige „The Tiki Bar Is Open“ folgt die Besinnung „The Wonder Of Love“ , das vom bezeichnenden „Master Of Disaster“ erlöst wird. Der überwiegende Teil der Show bewegt sich im Up-Tempo-Feeling. Mit der von „Radio-Airplay-Schlock-Rock-Joe“ (a.k.a. Joe Cocker) glatt gebürsteten Nummer „Have A Little Faith In Me“ beginnt der Zugabenteil. Diese Aufmerksamkeit würde man auch dem Songautoren gönnen. Wiewohl reichlich andere Musiker (His Bobness, Rosanne Cash, Bonnie Raitt, Willie Nelson, Bruce Springsteen, David Crosby, usw. usf.) kommerziellen Erfolg einheimsen konnten. Immerhin, von credits kann man vernünftig leben. Die zweite Zugabe, „Memphis In The Meantime“ beendet ein viel zu kurzes Konzert, auch wenn sich J.H. knapp zwei Stunden in seinen Songs ausgelebt hat. Er hat alles, was zur Legendenbildung taugt. Lieber noch ein paar LP´s – viele sind nicht mehr unter uns, die das so draufhaben. Die Rootsmesse ist zelebriert, „noch ein Liedchen“, recht hat er, der Amsterdamer Rockfan!

Ausklang:
Im Hotel knallt Schulzie, der schon bedrohlich wackelt, an der Hotelbar einem gut gekleideten amerikanischen Geschäftsmann, einen 50 Euro-Schein mit den Worten auf den Tisch: „These are 100 US $!“ „It´s a shame!!“ Welch ein Abend!

Hier die Setlist:
• Perfectly Good Guitar
• Your Dad Did
• The Open Road
• The Tiki Bar Is Open
• Wonder of Love
• Master of Disaster
• Like A Freight Train
• Cry Love
• Drive South
• Thing Called Love
• Real Fine Love
• Slow Turning
• Tennessee Plates
• Riding With The King
Encore:
• Have a Little Faith in Me
• Memphis in the Meantime

 

It was a chocolatefactory, isn‘t it?
Hhhhmmmm... John Hiatt

3. November 2010, Stollwerk, Köln


Der Himmel ist trüb. Wir laufen durchs Hurenquartier zum Bahnhof. Kurios: Unser Hotel lag mitten im Red-Light-District, 5 Sterne, Radisson Blue, müsste dann ja eigentlich „Radisson Red“ heißen.

In Emmerich müssen wir den ICE wegen eines Defektes verlassen. Das Leben als Rock ‘n‘ Roll Kreuzfahrer erscheint uns nicht immer einfach!

In Köln nieselt es. Eher Nick-Cave denn John-Hiatt-Wetter. Am Heumarkt finden wir ein italienisches Restaurant (mit Kölsch, auch nicht besser) und laufen dann zu Fuß zum Stollwerk. Im Foyer ist ein Bistro untergebracht in dem, hinter der Scheibe, Blue-Rose- Edgar mit einem seiner Afficinados sitzt und den lokalen Gepflogenheiten einen Laufpass gibt – er zischt ein Hefeweizen. Wir erzählen selig vom Vorabend und was die beiden versäumt haben. Kurz vor Showbeginn trudeln auch Headbanger Florian (Texas erprobt) und Rocknovizin Elke aus Heidelberg ein.

Heute gibt er ganz den stilsicheren Ami, Jeans, blaues Hemd, grüne Krawatte, braunes Sakko. Was bedeuten diese Äußerlichkeiten schon bei einem Musiker des Kalibers eines John Hiatt. Nothing!!! Das Stollwerk ist ausverkauft, sollte eigentlich nicht verwundern. Immerhin steht vor uns kein Geringerer als der John Hiatt, der es auch in Nashvilles „Grand Ol´Opry“ geschafft hat. Wer es da packt, besteht überall.

Und wieder geht’s ab mit Perfectly Good Guitar. Das Programm wird um zwei Songs erweitert, „Wrote It Down“ und „Tennessee Plates“ sowie „Riding With The King“, wovon wir leider nichts mehr mitbekommen, da wir nach „Real Fine Love“ den Abflug machen müssen (Schulzie und ich) der Fahrplan ist erbarmungslos. Der Sound war nicht ganz so druckvoll wie im Paradiso aber immer noch überdurchschnittlich gut und das Publikum durchaus sachverständig. Die Band hat die Spielfreude vom Vortag perfekt nach Deutschland gerettet. An dieser Stelle der Verweis auf sauguten Doug Lancio, der den aktuellen Sound maßgebend prägt.

Später, am Bahnhof angekommen, stellen wir fest, dass unser Zug 90 Minuten Verspätung hat. Die Frage nach Wiedergutmachung für fünf gestohlene Songs stellen wir der Bundesbahn nicht.

Kommt gut rüber über den Teich und:
„Carry You Back Home“ John Hiatt & Band!

Hier die Setlist:
• Perfectly Good Guitar
• Your Dad Did
• Wrote It Down And Burned
• The Open Road
• The Tiki Bar Is Open
• Wonder Of Love
• Master Of Disaster
• Like A Freight Train
• My Baby
• Cry Love
• Drive South
• Thing Called Love
• Real Fine Love
• Slow Turning
• Tennessee Plates
• Memphis In The Meantime
Encore:
• Have A Little Faith In Me
• Riding With The King
LP/CD-Auswahl, stark subjektiv und nur die wichtigsten:
1983 - Ridin' with the King (Geffen)
1987 - Bring the Family (A&M)
1988 - Slow Turning (A&M)
1990 - Stolen Moments (A&M)
1993 - Perfectly Good Guitar (A&M)
1994 - Hiatt Comes Alive at Budokan (A&M)
1995 - Walk On (Capitol)
1997 - Little Head (Capitol)
2000 - Crossing Muddy Waters (Vanguard)
2001 - The Tiki Bar Is Open (Vanguard)
2005 - Master of Disaster (New West)
2006 - Live from Austin Texas (New West)
2008 - Same Old Man (New West)
2010 - The Open Road (New West)
2011 - Dirty Jeans and Mudslide Hymns (New West)

Gunther Böhm